KENIA, MASAI-MARA:

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Wie der Betrug in die Welt kam
Die welt in der die Tiere Leben Methoden, mit denen sich Paviane hinters Licht führen

 

PavianjungesIm Masai-Mara-Schutzgebiet Kenias liegen dicht an der Grenze zur tansanischen Serengeti ein paar rundgeschliffene Felsen: sonnendurchglühte »Wärmekissen« für ein Rudel Löwen, die hier gerne ihren Fraß der vergangenen Nacht verdauen. Doch an diesem Tag war keine Raubkatze zu sehen. Dafür lagerte eine dreißigköpfige Horde von Anubis-Pavianen au den Felsen. Also keine Enttäuschung für mich, denn bei diesen Affen gibt es immer interessanten Gesellschaftsklatsch auszukundschaften.
So eine Horde wird immer von ein oder zwei kampferprobten Kriegern angeführt, mitunter auch von einem Triumvirat. Daneben existiert noch eine Schutztruppe von fünf oder sechs etwas jüngeren Kämpfernaturen. Nun heißt es in den Schulbüchern, nur der Boß allein habe Zugang zu den Weibchen. Welch graue Theorie! In der Praxis des Steppenlebens haben die Weibchen ihren meist sehr harschen Pascha nämlich schnell satt. Darum versuchen sie, mit jüngeren Männchen anzubandeln. Ein recht riskantes Liebesabenteuer, weniger für die »Dame« als vielmehr für den »Herrn«, der ihren Verlockungen erliegt, denn der Boß hält eifersüchtig Wache, und wehe, er erwischt einen unrechtmäßigen Liebhaber!
Doch wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Zur Zeit der Mittagssiesta beoachtete ich von erhöhter Position diese Szene: Der Pascha saß, nichts Böses ahnend, vier Meter neben einem Stein, der etwa siebzig Zentimeter hoch aus dem kurzen Steppengras ragte. Zwei Meter weit auf der entgegengesetzten Seite des Steines hockte ein Weibchen, tat völlig harmlos, rutschte aber unmerklich immer näher an den Stein heran, wobei es für die zwei Meter zwanzig Minuten benötigte.

Da entdeckte ich im Fernglas, daß unmittelbar hinter dem Stein bereits ein junges Pavianmännchen lag und sich nun von dem Weibchen kraulen ließ. Von alledem konnte der Pascha nur den Kopf des Weibchens sehen, das scheinbar gelangweilt flatternden Schmetterlingen nachschaute, während das Schmeicheln und Schmusen im unteren Bereich im vollen Schwange war.

Ein gelungener Betrug, der eine erstaunliche Intelligenz voraussetzt. Die Pavianin mußte sich in die Lage des Paschas versetzen und genau einkal­kulieren, wieviel dieser von der Situation mitbekommen würde. Echte, bewußt ausgeführte Täuschungsmanöver werden erst durch Intelligenz möglich.
Das zeigt sich bereits bei den Säuglingen der Dschelada-Paviane im äthiopischen Hochland. Verweigert ihnen die Mütter während der Zeit des Abstillens die Milch, zausen sie, von der Mutter unbemerkt, eine erwach­sene Nachbarin im Fell. Diese droht sogleich zurück. Die ahnungslose Mut­ter aber will ihr Kind beschützen und beißt die Nachbarin. Nach dem »Sieg« tröstet sie ihr »armes« Kind mit reicher Milchspende. Der Zweck des abge­feimten Manövers ist voll erreicht.
Wie kann diese Entwicklung zu Lug und Trug begonnen haben? Die eng­lischen Zoologen Dr. Richard Byrne und Dr. Andrew Whiten haben diese Frage in allen Einzelheiten erforscht, nachdem sie ein Schlüsselerlebnis dazu inspiriert hatte: Ein kleinerer Anubispavian-Jüngling, den sie Paul nannten, beobachtete ein kräftiges Weibchen beim Ausgraben einer schmackhaften Wurzel. Plötzlich schrie er wie am Spieß, obwohl ihm nie­mand Schmerz zugefügt hatte. Daraufhin kam seine Mutter, die ranghöher als die Wurzelgräberin war, aber von dem Vorgang nur den Schrei mitbekommen hatte, wie der Blitz angerannt und jagte hinter der völlig unschul­dig Flüchtenden her. Indessen verspeiste Paul in aller Ruhe den Leckerbissen.

In diesem Fall konnte die Entwicklung des Täuschungsverhaltens genau verfolgt werden. Beim erstenmal war Paul nur frech, langte nach der Wur­zel, die ein anderer ausgegraben hatte, und erhielt prompt einen Strafbiß. Auf seinen Schrei hin kam seine Mutter, die den wahren Hergang der Ereig­nisse nicht beobachtet hatte, herbei und übte Vergeltung. Dabei muß es Paul in den Sinn gekommen sein, einmal auszuprobieren, ob die Sache nicht auch ohne Strafbiß, nur mit dem Lügenschrei, klappen würde.
Künftig war dieses abgefeimte Manöver jedoch nur dann von Erfolg gekrönt, wenn Paul es nicht zu oft anwendete. Sonst schöpfte das Opfer Verdacht, wenn Paul ihm zu nahe rückte, und begann zu keckem. Das heißt auf pavianisch soviel wie: »Laß mich in Ruhe, hau ab!« Dann wußten alle in der Nähe befindlichen Rudelmitglieder sofort, was hier gespielt wurde, und keiner eilte dem Betrüger zu Hilfe. Nicht einmal seine Mutter.
In einer anderen Pavianhorde hieß der listenreiche Irreführer Melton. Er war ein starker Jüngling. Einmal hatte er ein Affenbaby geschlagen, ein Vergehen, das stets mit Massenkeile bestraft wird. Melton floh in die Steppe hinaus. Die Horde sauste zorngrunzend hinter ihm her. Da kam ihm eine Idee. Aus vollem Lauf sprang Melton hoch auf die Hinterbeine zum Stand und schaute in die Ferne, so, als ob er dort einen lauernden Löwen oder eine Giftschlange entdeckt hätte. Die Verfolger kamen beim Bremsen ins Schleudern, starrten dann in die gleiche Richtung, sahen aber nichts. Doch der Schreck saß allen in den Knochen und ließ sie die Strafaktion augenblicklich vergessen.
In diesem Fall sind wir auf Vermutungen angewiesen. Wahrscheinlich hat Melton diesen Dreh entdeckt, als er früher einmal auf der Flucht tat­sächlich einen Feind erblickte. Nun wandte er diese Täuschung öfter an. Im Gegensatz zu Pauls Trick klappte seine Methode immer. Möglicherweise hatten ihn seine Hordenkumpane auch durchschaut. Aber das Risiko, daß vielleicht doch ein Löwe im Gras lauern könnte, war ihnen einfach zu groß, um die Verfolgung fortzusetzen.
Meerkatzen, Rhesusaffen und Kapuziner beherrschen die Kunst des Betrügens ebensogut. Nichts dergleichen wurde bisher aber von den Gib­bons berichtet. Bei diesen Affen weicht das monogame Männchen seinem Weibchen lebenslang nicht von der Seite. Beide kennen sich viel zu gut, als daß ein Betrug fruchten könnte. Aus einem ganz anderen Grund bleiben Halbaffen wie Kattas, Indris, Varis und Loris immer bei der Wahrheit: Sie sind zum Irreführen anderer Hordenkumpane einfach viel zu dumm.
So ist es eigentlich nicht überraschend, daß die intelligentesten Menschenaffen ihresgleichen am raffiniertesten hinters Licht führen können: die Schimpansen. Von einem solchen Täuschungsmanöver berichtet der holländische Primatologe Dr. Frans de Waal:
Am Tage zuvor hatten ein starkes und ein schwächeres Männchen einen Streit nicht ausfechten können, weil andere Hordenmitglieder sie getrennt und Frieden gestiftet hatten. Nun, als beide allein waren, kam der Starke freundlich lächelnd und mit Friedensgebärde auf den Schwachen zu. Die­ser glaubte an eine Versöhnung. Der erfahrene Affenforscher übrigens auch. Aber plötzlich riß der Starke sein Betrugsopfer zu Boden, trampelte wutfauchend auf ihm herum und verließ sodann hoch befriedigt den Kampfplatz.

Nicht mit einem Mucks hatte er zuvor seine wahren Absichten durchblicken lassen.
Manchmal gelingt den Schimpansen ihr Täuschungsmanöver jedoch nicht so vortrefflich, wie Dr. Frans Plooij mit einer Beobachtung im ostafri­kanischen Gombe-Reservat, das durch Frau Professor Jane Goodall weltbe­kannt wurde, belegt:
Ein kleineres Männchen war im Dschungel gerade dabei, von den Bana­nen zu fressen, deren Baumversteck kein anderes Hordenmitglied kannte, als es ein starkes Männchen im Blattdickicht gewahrte. Sofort verdeckte der Kleinere seine Schätze mit Blättern, ging zur Seite, setzte sich an einen Stamm und tat so, als sei hier nicht das mindeste zu holen. Der Starke ging ohne Zögern weiter. Aber sobald er außer Sicht war, glitt er lautlos zu Boden, schlich zurück, versteckte sich hinter einem Baum und spähte zu dem Kleinen hinüber. Arglos griff dieser nach einer neuen Banane. Aber noch ehe er sie sich in den Mund stecken konnte, stürmte der Starke herbei und plünderte die Speisekammer total.
Moral: Tiere, die so klug sind, daß sie andere betrügen können, sind zugleich auch so gewitzt, Täuschungsmanöver anderer zu durchschauen.

Für alle Textinhalte und Fotos gilt ©2010 by Vitus B.Dröscher, Für alle Zeichnungen©2010 by Till Claudius Dröscher ; Hamburg
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