ARGENTINIEN, VALDES

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Durch stete Prügel gefügig gemacht

Der Machtmißbrauch bei See-Elefanten Die welt in der die tiere leben

 Beim Wort »Robben« denken wir vor allem an die im silbrig weißen Kuschelfell auf dem Eis vor Neufundland liegenden und von knüppelschwingenden Totschlägerbanden bedrohten Babys der Sattelrobben, vielleicht auch an die tödlichen Leiden der Seehunde vor der deutschen Nordseeküste. Weltweit zählen wir aber 34 verschiedene Arten von fast walgroßen See-Elefanten über die Seelöwen, Seebären und Walrosse bis zu menschenkleinen Ringelrobben. Sie alle besiedeln das Eis der Polarregionen oder lagern sich an heißen Stränden unter dem Äquator. Sie leben zum Teil in friedlicher Einehe, in harmomischen Kolonien wie die Galapagos-Seelöwen, zum Teil praktizieren sie aber auch mit Mord und Totschlag regierte Haremsverbände, die nicht weniger als hundert Weibchen umfassen wie bei den Nördlichen Seebären im Beringmeer.

 All diese Erscheinungen des Lebendigen werden im Wechselspiel zwischen Tier und Umwelt, zwischen Verhalten, körperlichen Eigenschaften und naturgegebenen Zwängen von der Schöpfung geprägt. Wie dies vor sich geht, möchte ich kurz darlegen.

 Am Anfang des archaischen Verhaltens steht Herr See-Elefant, dessen Tiefseeabenteuer ich bereits beschrieben habe. Er ist ein wahrer Meister im Zusammenhamstern weibchenreicher Haremsverbände. Wie sie so daliegen, Fettwanst an Fettwanst, bieten diese Tiere ein Bild harmonischer Eintracht. Doch der Schein trügt. In Wahrheit ist so ein Harem nichts als eine Ansammlung einzelgängerischer Weibchen, die monatelang ganz allein auf hoher See Fische und Kalmare, einezoologische Unterordnung der Tintenfische, jagen und nur während der Brunst oder des Haarwechsels einen Strand aufsuchen und dann von einem Bullen durch ständige Prügel in dessen Paarungsterritorium zusammengehalten werden.

Vitus mit Seeelefanten So ein Pascha oder »Beachmaster« der südlichen Art besitzt eine Körpermasse von bis zu vier Tonnen. Er wiegt also soviel wie 57 Menschen oder vier bis fünf seiner Weibchen. Richtet er sich zur Drohgebärde nur mit dem Oberkörper auf, erreicht der fünf Meter lange Bulle schon übermenschliche Größe. Vor so einem Koloß habe ich lieber die Flucht ergriffen. Das Gegenimponieren wie vor Seelöwenbullen verfehlt hier seine Wirkung. Ein Weibchen, das aus dem bis zu zwölfköpfigen Serail zu fliehen versucht, klemmt sich der Koloß wallenden Fleisches mit einer Armflosse unter die Achsel, schleift es zurück und wälzt sich zur Strafe einmal wäschemangelartig darüber.

 Eine Paarung ist mit fast den gleichen Worten beschrieben. Sie dauert höchstens fünf Minuten, falls sich das Weibchen nicht schon früher kreischend losreißt.

 Rivalen werden vom Pascha einfach niedergewalzt, sofern die Wabbelmasse des Körpers dies ermöglicht. Nicht mehr als vier Prozent der gewaltigen Bullen eines Strandabschnitts etwa auf der argentinischen Halbinsel Valdes behaupten das Paarungsmonopol über 88 Prozent aller Weibchen, wie Professor Georg Breuer von der Universität Wien nachgewiesen hat. Alle anderen Männchen gucken in die Röhre oder warten darauf, daß einer der Beachmaster im pausenlosen Streß allmählich abschlafft und dann im blutigen, barbarischen Kampf vejagt werden kann.

 Beim mitunter tödlichen Duell spielt der seltsame »Rüssel« oder Nasenballon eine Rolle. Er ist keine »Trompete«, wie man früher dachte, sondern eine Art Signalflagge. An ihr können die Kämpfer und Beobachterinnen den genauen Stand des blutigen Gefechts ablesen. Je ernster die Drohung, je gewisser der Sieg, desto mächtiger bläht der Bulle seinen Ballon auf, während dieses Angeberorgan auf der Verliererstraße mehr und mehr erschlafft.

 Der jeweilige Sieger steht jedoch vor einem Scherbenhaufen der Kriegspolitik. Sobald die Haremsdamen am Anzeiger der beiden Nasenballons erkennen, daß beide Rivalen längere Zeit miteinander kämpfen werden, verlassen sie in dieser für sie günstigen Situation fluchtartig das Terrain, um sich einem friedlicheren Strandmeister anzuschließen.

 Wer in Gegenwart seines Harems um Weibchen kämpft, verliert sie augenblicklich und mit absoluter Sicherheit alle. Trotzdem können viele Bullen die Keilerei nicht lassen. Nonsens des Kämpfens auch bei Tieren!

 Und mehr noch. Der Zwang zum fortwährenden Kämpfen und Sich-behaupten-Müssen zehrt enorm an der Lebenssubstanz. Das Höchstalter im Freileben beträgt bei den Weibchen 12 Jahre, bei den Bullen 20 Jahre. Aber das Durchschnittsalter liegt bei letzteren mit nur 7 Jahren erheblich unter dem der Weibchen. Wie das? Beachmaster sterben oft schon nach ihrer ersten Paarungssaison an totaler Entkräftung oder an den Folgen der schweren Verletzungen. Ganz anders jedoch andere Männchen, die den Kampf scheuen und nur hin und wieder einmal versuchen, in unbeobachteten Augenblicken als »Schleicher« ein Weibchen für sich zu gewinnen. Sie werden mit gutem Nervensystem steinalt und zeugen in ihrem langen Leben insgesamt mehr Kinder als die Raufbolde und Strandbeherrscher. Und bei den Weibchen sind sie obendrein viel beliebter.

 So lassen sich erfahrene See-Elefantenmütter auch nicht von einem beliebigen Bullen irgendwohin in einen dichten Haufen von Haremsdamen werfen. Bei der Ankunft am Strand schwimmen sie zunächst in sicherer Entfernung vor der Küste auf und ab und suchen sich den Platz am Ufer aus, auf den sie dann vom dortigen Bullen geraubt werden wollen.

 Für ihre Wahl ist weder die Nähe des Bullen noch der Rand seines Herrschaftsbereichs optimal, vor allem nicht die Peripherie der Kolonie. Denn hier räubern stets die sexuell frustierten Männchen aus der nähen Junggesellenabteilung. Da dann meist ein wüster Kampf mit dem »Platzhirsch« unvermeidlich ist und hierbei keinerlei Rücksicht auf die gerade geborenen Babys genommen wird, überlebt hier kaum ein Jungtier. Am günstigsten ist die goldene Mitte, womöglich mit einer Klippe als Rückendeckung und als Zuflucht bei Sturm und Springflut. Auch bringen routinierte See-Elefanten ihren Nachbarinnen flossengreiflich bei, daß jene nicht ungestraft in ihren engeren Bereich eindringen dürfen.

 So hängt es allein am Geschick der See-Elefantenmütter, mit dieser für sie äußerst prekären Haremssituation, die ihnen widerwillig von den massigen Mannsbildern aufgezwungen wird, in einer Weise fertig zu werden, daß ihre Kinder trotz allem Ungemach am Leben bleiben.

Für alle Textinhalte und Fotos gilt ©2010 by Vitus B.Dröscher, Für alle Zeichnungen©2010 by Till ClaudiusDröscher ; Hamburg
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